Intro, Herbert Wendling in der Beck Passage

Archiv Herbert Wendling

Im Archiv Wendling befindet sich der fotografische Nachlass von Herbert Wendling mit historischen Aufnahmen aus dem München der 1930er bis 1960er Jahren.

Herbert Wendling

Vita

Herbert Wendling wurde 1902 in Weinheim an der Bergstraße geboren. Im Alter von zwölf Jahren kam er nach München, als sein Vater eine Anstellung als Eisendreher in München-Moosach annahm. Bis zu seinem Tod 1970, kurz nach seinem zweiten Schlaganfall, blieb München seine Heimat.

Die Mutter starb früh und der Vater heiratete erneut. So wuchs Herbert Wendling mit vier leiblichen Geschwistern und drei Halbgeschwistern auf. Schon in jungen Jahren erkrankte er schwer an Diabetes und musste mehrmals täglich Insulin spritzen. Während seiner Schulzeit, er besuchte die Simmernschule in Schwabing, wohnte die Familie in der Unertlstraße. Die Eltern zogen später nach Moosach in die Triebstraße. Ob er dort auch wohnte, ist nicht mehr bekannt. Nach seinem Schulabschluss absolvierte Herbert Wendling eine Kaufmannslehre und entdeckte früh seine Leidenschaft für die Fotografie – zunächst nur als Hobby.

Während des Zweiten Weltkriegs war er etwa fünf Jahre für BMW tätig, zunächst dienstverpflichtet als Kontrolleur für Flugzeugtriebwerke, später wurde er als Fotograf übernommen. Eine weitere Anstellung als Werksfotograf bei der Firma Hurt folgte.

Nach Kriegsende fotografierte er ab September 1946 im Rahmen der Kennkartenaktion für das Bayerische Staatsministerium und bereiste zur Anfertigung von Lichtbildern Gemeinden in ganz Bayern. Ohne offizielle Ausbildung zum Fotografen und ohne die Mittel für eine professionelle Kameraausstattung ermöglichte es ihm erst diese Anstellung, sich alle gewünschten Materialien für seine fotografische Arbeit zu leisten. Ende der 40er Jahre wurde ihm von der Handwerkskammer erlaubt, die Berufsbezeichnung „Fotograf “ zu führen. Ab den 1950er Jahren bot Herbert Wendling verschiedene Dienstleistungen rund um die Fotografie an, z. B. kolorierte Semi-Emaille Platten, passend als Einlagen für Broschen, Medaillons oder Krawattennadeln. Auch als Porträtfotograf hatte er ein Einkommen.










Durch seinen Schwiegersohn, der als Zivilangestellter der US-Armee tätig war, konnte er gute Kontakte zu den amerikanischen GIs aufbauen, die sich gern von ihm fotografieren ließen; von einem der US-Amerikaner erhielt er als Dankeschön einen wunderschönen Schinken – leider war der mit Zuckerkruste überzogen und für deutsche Gaumen ungenießbar. Auch alte Fotos von Gefallenen des Zweiten Weltkriegs wurden von Herbert Wendling reproduziert, häufig für die Gedenktafeln der bayerischen Gemeinden. Als einer der Ersten fotografierte er in Farbe, bald vor allem in zahlreichen Schulen (Klassenfotos).

Neben seinen Streifzügen durch München – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – fuhr Herbert Wendling oft mit seiner Frau auf dem Motorrad über Land, später mit dem Goggomobil. Stach ihm dabei ein besonderes Motiv ins Auge, konnte es schon einmal passieren, dass er mitten auf der Autobahn anhielt, Kamera und Stativ hervorholte und einige Aufnahmen von der Landschaft machte. Privat interessierte er sich sehr für die Stereofotografie und produzierte sogar einige Trickfilme.

Seine Arbeit in der Dunkelkammer wurde mit zunehmendem Alter durch seine schlechter werdenden Augen behindert, weshalb er seine Frau bei der Produktion von Jacken und Pullovern auf der Strickmaschine unterstützte und auf diese Weise mithalf, für das Auskommen seiner Familie zu sorgen. Während der Volkszählung des Jahrs 1961 arbeitete er im Statistischen Landesamt. Zwei seiner Fotoserien – über den Tierpark und über die Münchner Brunnen – konnte er zur Veröffentlichung an einen Verlag verkaufen, wobei heute leider nicht mehr bekannt ist, in welchen Publikationen seine Werke veröffentlicht wurden.

Häufige Wechsel des Wohnsitzes führten die noch junge Familie während des Zweiten Weltkriegs u.a. nach Trudering und wohl auch nach Bogenhausen, wo eine von Herbert Wendlings Töchtern eine Zeit lang die Gebeleschule am Herkomerplatz besuchte. Die letzte Wohnung lag in der Aßlinger Straße 8 in Ramersdorf.

Viele seiner Fotografien begutachtete Herbert Wendling im Lauf seines Arbeitslebens nur als Film in der Dunkelkammer, ohne sie je zu entwickeln. Dies war neben der Materialknappheit während der Kriegs- und Nachkriegsjahre auch seinen zeitlebens begrenzten finanziellen Mitteln geschuldet. Mit zuletzt elf Kindern führte die Familie ein einfaches und entbehrungsreiches Leben. Eine Familie dieser Größe zu ernähren, war als Fotograf zeitlebens nicht einfach.

Die Stadt und ihre Straßen waren eines von Herbert Wendlings Lieblingsmotiven. Auf seinen Touren durch die Stadtviertel Münchens fotografierte er die verschiedensten Bauten, Plätze, Parks und das sich dort abspielende Leben. Dabei entstanden Momentaufnahmen der Stadt in der Vor- wie Nachkriegszeit bis zum Ende der 1960er Jahre. Zusammengenommen zeigen sie den faszinierenden Wandel Münchens über die Jahrzehnte. Klar wird dabei auch, dass die „gute alte Zeit“ diesem Namen oftmals zu Unrecht trägt: Herbert Wendlings Bilder, z. B. aus der Au zeigen ärmste Verhältnisse; die Häuser wirken heruntergekommen, ihre Bewohner erledigen die Wäsche im Auermühlbach.

Es sind so gut wie keine Informationen erhalten, die uns verraten, wann genau die Fotografien entstanden, kaum Informationen zu den exakten Orten oder sonstige hilfreiche Notizen. Wenn Herbert Wendling etwas zu einem Bild notierte, dann meist nur Angaben zu Kamera, Objektiv und Belichtungszeit. Daher sind die Erinnerungen, die seine Fotografien bei den Besuchern heutiger Ausstellungen wecken, von besonderem Interesse. Oft sind es Geschichten zu ihrer Familie und Kindheit, an die ältere Betrachter mit Nostalgie zurückdenken, z. B. das unbeaufsichtigte und freie Spielen auf den Trümmergrundstücken nach dem Krieg; nicht nur durch verstreute Munitionsreste mehr als nur ein „Abenteuerspielplatz“ für die damaligen Kinder und Jugendlichen. Manche erzählen von Lokalen auf der anderen Straßenseite, wo sie für den Vater das Bier holten, von der Straße, in der die Tante wohnte, in der die erste Wohnung lag oder in der sie als Kinder gespielt haben, vom Kramer am Eck, der immer Süßigkeiten verschenkte, vom Großvater und vom Onkel, die in einer der Herbergen in der Au wohnten und dort arbeiteten. Vom Alter des Betrachters unabhängig ist jedoch das unbestimmte Gefühl, dass München – trotz der vielfach dokumentierten Kargheit des Alltags in der Stadt – in seiner Entwicklung nicht den Weg zum Besseren eingeschlagen hat. Das Ziel der autogerechten Stadt aus den Nachkriegsjahren und die neuzeitliche Abgabe vieler Punkte der Stadtplanung an Investoren samt der damit verbundenen viel genannten Gentrifizierung werden von einer Mehrheit schmerzlich wahrgenommen und beklagt. Einzig die umfassenden Baumaßnahmen zu den Olympischen Spielen 1972 werden nach wie vor positiv bewertet.

Quelle: Bildband „München 1930 - 1960“, eschienen 2020 im Volk Verlag München