Historische Münchenfotografien aus den 30er – 60er Jahren von Herbert Wendling
Schwarz-Weiß- und Farbfotografien erzählen Geschichten aus einem vergangenen München. Ein Spaziergang durch die Straßen der Stadt – in den Zeiten vor und nach dem zweiten Weltkrieg. Häuser, Autos, Kleidung und Frisuren: Jedes Motiv typisch für seine Zeit.
Herbert Wendling (1902-1970), geboren in Weinheim, lebte er von seinem 12 Lebensjahr bis zu seinem Tod in München. Der Fotograf aus Leidenschaft ging seiner Berufung nicht nur beruflich, sondern auch privat nach. So hat er das Haus praktisch nie ohne Kamera(s) und Stativ verlassen.
Er benutzte verschiedenste Kameramodelle (z. B. Rolleicord, Linhof Stereo-Kamera, Leica u. a.), die er z.T. selbst modifizierte.
Zeit seines Lebens war die Stadt und Straße eine seiner Vorlieben. Bei seinen Touren durch die Viertel Münchens fotografierte er die verschiedensten Orte und das sich dort abspielende Leben.
Dabei entstanden u. a. außergewöhnliche Fotoserien über München in der Vor- und Nachkriegszeit bis Ende der sechziger Jahre.
Die Fotografien geben einen Einblick in den Wandel der Stadt über die Jahrzehnte. Klar wird dabei auch, dass „die gute alte Zeit“ nicht so schön war, wie sie in unseren Vorstellungen erscheint. Die Bilder, z. B. aus der Au, zeigen ärmste Verhältnisse, so wird die Wäsche noch händisch im Auermühlbach gewaschen. Die Häuser wirken oft heruntergekommen.
Es gibt so gut wie keine Informationen, wann die Fotografien aufgenommen wurden, kaum Informationen zu den Orten oder helfende Notizen. Wenn es Informationen zu einem Bild gibt, dann meist nur zu Kamera, Objektiv und Belichtungszeit.
Besonders interessant sind die Geschichten und Erinnerungen welche die Fotografien bei den Besuchern der Ausstellungen mit Werken von Herbert Wendling hervorbringen. Es ist immer wieder äußerst spannend und interessant, was gerade ältere Besucher aus ihrer Vergangenheit erzählen. Oft sind es Geschichten aus der Familie und der Kindheit, z. B. das unbeaufsichtigte und freie Spielen auf den Trümmergrundstücken nach dem Krieg. Nicht nur durch noch vorhandene Munitionsreste mehr als nur ein „Abenteuerspielplatz“ für die Kinder und Jugendlichen damals.
Sie erzählen von Lokalen auf der anderen Straßenseite wo sie für ihren Vater das Bier geholt haben, wo die Tante wohnte, die erste Wohnung war, sie als Kinder gespielt haben, an den Kramer der immer Süßigkeiten verschenkte, von abenteuerlichen Trümmergrundstücken, an den Großvater und Onkel, die in einer der Herbergen der Au wohnten und arbeiteten. Und vieles mehr …
Alters unabhängig ist jedoch das Gefühl, dass sich die Entwicklung der Stadt nicht zum Besseren gewandelt hat. Nach der Zerstörung durch den Krieg wird die Utopie der autogerechten Stadt und die Überlassung der Stadtentwicklung an Investoren und die damit verbunden viel genannte Gentrifizierung von der Mehrheit schmerzlich wahrgenommen und beklagt. Einzig die Entwicklungen zur Olympiade 1972 werden positiv bewertet.
von 08.11.2019 bis 01.02.2020
Herbert Wendling wurde 1902 in Weinheim an der Bergstraße geboren. Im Alter von zwölf Jahren kam er nach München, als sein Vater eine Anstellung als Eisendreher in München-Moosach annahm. Bis zu seinem Tod 1970, kurz nach seinem zweiten Schlaganfall, blieb München seine Heimat.
Die Mutter starb früh und der Vater heiratete erneut. So wuchs Herbert Wendling mit vier leiblichen Geschwistern und drei Halbgeschwistern auf. Schon in jungen Jahren erkrankte er schwer an Diabetes und musste mehrmals täglich Insulin spritzen. Während seiner Schulzeit, er besuchte die Simmernschule in Schwabing, wohnte die Familie in der Unertlstraße. Die Eltern zogen später nach Moosach in die Triebstraße. Ob er dort auch wohnte, ist nicht mehr bekannt. Nach seinem Schulabschluss absolvierte Herbert Wendling eine Kaufmannslehre und entdeckte früh seine Leidenschaft für die Fotografie – zunächst nur als Hobby.
Während des Zweiten Weltkriegs war er etwa fünf Jahre für BMW tätig, zunächst dienstverpflichtet als Kontrolleur für Flugzeugmaschinen, später wurde er als Fotograf übernommen. Eine weitere Anstellung als Werksfotograf bei der Firma Hurt folgte.
Nach Kriegsende fotografierte er ab September 1946 im Rahmen der Kennkartenaktion für das Bayerische Staatsministerium und bereiste zur Anfertigung von Lichtbildern Gemeinden in ganz Bayern. Ohne offizielle Ausbildung zum Fotografen und ohne die Mittel für eine professionelle Kameraausstattung ermöglichte es ihm erst diese Anstellung, sich alle gewünschten Materialien für seine fotografische Arbeit zu leisten. Ende der 40er Jahre wurde ihm von der Handwerkskammer erlaubt, die Berufsbezeichnung „Fotograf “ zu führen. Ab den 1950er Jahren bot Herbert Wendling verschiedene Dienstleistungen rund um die Fotografie an, z. B. kolorierte Semi-Emaille Platten, passend als Einlagen für Broschen, Medaillons oder Krawattennadeln. Auch als Porträtfotograf hatte er ein Einkommen.
Durch seinen Schwiegersohn, der als Zivilangestellter der US-Armee tätig war, konnte er gute Kontakte zu den amerikanischen GIs aufbauen, die sich gern von ihm fotografieren ließen; von einem der US-Amerikaner erhielt er als Dankeschön einen wunderschönen Schinken – leider war der mit Zuckerkruste überzogen und für deutsche Gaumen ungenießbar. Auch alte Fotos von Gefallenen des Zweiten Weltkriegs wurden von Herbert Wendling reproduziert, häufig für die Gedenktafeln der bayerischen Gemeinden. Als einer der Ersten fotografierte er in Farbe, bald vor allem in zahlreichen Schulen (Klassenfotos).
Neben seinen Streifzügen durch München – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – fuhr Herbert Wendling oft mit seiner Frau auf dem Motorrad über Land, später mit dem Goggomobil. Stach ihm dabei ein besonderes Motiv ins Auge, konnte es schon einmal passieren, dass er mitten auf der Autobahn anhielt, Kamera und Stativ hervorholte und einige Aufnahmen von der Landschaft machte. Privat interessierte er sich sehr für die Stereofotografie und produzierte sogar einige Trickfilme.
Seine Arbeit in der Dunkelkammer wurde mit zunehmendem Alter durch seine schlechter werdenden Augen behindert, weshalb er seine Frau bei der Produktion von Jacken und Pullovern auf der Strickmaschine unterstützte und auf diese Weise mithalf, für das Auskommen seiner Familie zu sorgen. Während der Volkszählung des Jahrs 1961 arbeitete er im Statistischen Landesamt. Zwei seiner Fotoserien – über den Tierpark und über die Münchner Brunnen – konnte er zur Veröffentlichung an einen Verlag verkaufen, wobei heute leider nicht mehr bekannt ist, in welchen Publikationen seine Werke veröffentlicht wurden.
Häufige Wechsel des Wohnsitzes führten die noch junge Familie während des Zweiten Weltkriegs u.a. nach Trudering und wohl auch nach Bogenhausen, wo eine von Herbert Wendlings Töchtern eine Zeit lang die Gebeleschule am Herkomerplatz besuchte. Die letzte Wohnung lag in der Aßlinger Straße 8 in Ramersdorf.
Viele seiner Fotografien begutachtete Herbert Wendling im Lauf seines Arbeitslebens nur als Film in der Dunkelkammer, ohne sie je zu entwickeln. Dies war neben der Materialknappheit während der Kriegs- und Nachkriegsjahre auch seinen zeitlebens begrenzten finanziellen Mitteln geschuldet. Mit zuletzt elf Kindern führte die Familie ein einfaches und entbehrungsreiches Leben. Eine Familie dieser Größe zu ernähren, war als Fotograf zeitlebens nicht einfach.
Die Stadt und ihre Straßen waren eines von Herbert Wendlings Lieblingsmotiven. Auf seinen Touren durch die Stadtviertel Münchens fotografierte er die verschiedensten Bauten, Plätze, Parks und das sich dort abspielende Leben. Dabei entstanden Momentaufnahmen der Stadt in der Vor- wie Nachkriegszeit bis zum Ende der 1960er Jahre. Zusammengenommen zeigen sie den faszinierenden Wandel Münchens über die Jahrzehnte. Klar wird dabei auch, dass die „gute alte Zeit“ diesem Namen oftmals zu Unrecht trägt: Herbert Wendlings Bilder, z. B. aus der Au zeigen ärmste Verhältnisse; die Häuser wirken heruntergekommen, ihre Bewohner erledigen die Wäsche im Auermühlbach.
Es sind so gut wie keine Informationen erhalten, die uns verraten, wann genau die Fotografien entstanden, kaum Informationen zu den exakten Orten oder sonstige hilfreiche Notizen. Wenn Herbert Wendling etwas zu einem Bild notierte, dann meist nur Angaben zu Kamera, Objektiv und Belichtungszeit. Daher sind die Erinnerungen, die seine Fotografien bei den Besuchern heutiger Ausstellungen wecken, von besonderem Interesse. Oft sind es Geschichten zu ihrer Familie und Kindheit, an die ältere Betrachter mit Nostalgie zurückdenken, z. B. das unbeaufsichtigte und freie Spielen auf den Trümmergrundstücken nach dem Krieg; nicht nur durch verstreute Munitionsreste mehr als nur ein „Abenteuerspielplatz“ für die damaligen Kinder und Jugendlichen. Manche erzählen von Lokalen auf der anderen Straßenseite, wo sie für den Vater das Bier holten, von der Straße, in der die Tante wohnte, in der die erste Wohnung lag oder in der sie als Kinder gespielt haben, vom Kramer am Eck, der immer Süßigkeiten verschenkte, vom Großvater und vom Onkel, die in einer der Herbergen in der Au wohnten und dort arbeiteten.
Vom Alter des Betrachters unabhängig ist jedoch das unbestimmte Gefühl, dass München – trotz der vielfach dokumentierten Kargheit des Alltags in der Stadt – in seiner Entwicklung nicht den Weg zum Besseren eingeschlagen hat. Das Ziel der autogerechten Stadt aus den Nachkriegsjahren und die neuzeitliche Abgabe vieler Punkte der Stadtplanung an Investoren samt der damit verbundenen viel genannten Gentrifizierung werden von einer Mehrheit schmerzlich wahrgenommen und beklagt. Einzig die umfassenden Baumaßnahmen zu den Olympischen Spielen 1972 werden nach wie vor positiv bewertet.
Quelle: Bildband „München 1930 - 1960“, eschienen 2020 im Volk Verlag München
Black-and-white and color photographs tell stories from a bygone Munich. A walk through the streets of the city - in the times before and after the Second World War. Houses, cars, clothes and hairstyles: each motif typical of its time.
Herbert Wendling, the city photographer
Herbert Wendling (1902-1970), born in Weinheim, he lived in Munich from the age of 12 until his death. A photographer by passion, he pursued his vocation not only professionally but also privately. So he practically never left the house without camera(s) and tripod.
He worked as a permanent employee and as a freelance photographer. Among his clients were BMW and Hurth. After the war (from Sept. 1946) he worked as a photographer for the Bavarian State Ministry as part of the identity card campaign and traveled to communities in Bavaria to take photographs. He was one of the first to use color photography for portraiture of school classes.
He used various camera models (e.g. Rolleicord, Linhof stereo camera, Leica, etc.), some of which he modified himself.
Throughout his life, the city and street was one of his preferences. During his tours through the neighborhoods of Munich, he photographed the most diverse places and the life that took place there.
Among other things, this resulted in extraordinary photo series about Munich in the pre- and post-war period until the end of the sixties.
The photographs provide an insight into how the city has changed over the decades. It also becomes clear that "the good old days" were not as beautiful as they appear in our imaginations. The pictures, e.g. from the Au, show the poorest conditions, so the laundry is still washed by hand in the Auermühlbach. The houses often appear run-down.
There is virtually no information about when the photographs were taken, hardly any information about the locations or helping notes. If there is information about a picture, it is usually only about the camera, lens and exposure time.
Particularly interesting are the stories and memories that the photographs evoke in visitors to the exhibitions of Herbert Wendling's work. It is always extremely exciting and interesting what especially older visitors tell from their past. Often they are stories from the family and childhood, e.g. the unsupervised and free playing on the rubble plots after the war. Not only by still existing ammunition remains more than just an "adventure playground" for the children and young people at that time.
They tell of pubs across the street where they fetched beer for their father, where their aunt lived, where their first apartment was, where they played as children, of the Kramer who always gave away sweets, of adventurous rubble plots, of their grandfather and uncle who lived and worked in one of the hostels in the Au. And much more ...
Age independent, however, is the feeling that the development of the city has not changed for the better. After the destruction caused by the war, the utopia of the car-friendly city and the abandonment of urban development to investors and the associated much-mentioned gentrification is painfully perceived and lamented by the majority. Only the developments for the 1972 Olympics are viewed positively.