Grandiose Fahrt
Vielleicht kommt man Bernhard Jordis Kunst, die die Materie zu einem Spiel mit sich selbst verleitet, auch nur im gegenseitigen Austausch auf die Spur – konkret: im Gespräch mit dem Künstler.
Statt des üblichen Schildes „Bitte nicht berühren“ müsste an Ihren Objekten eigentlich stehen: „Unbedingt berühren“ …
Bernhard Jordi: Ja, meine Skulpturen brauchen nicht nur das passive Auge des Betrachters, sondern seine aktive Hand, seine Energie! Die muss er meinem Werk zur Verfügung stellen. Ich ernenne ihn kurzerhand zum Motor meiner Maschinen. Er muss etwa eine Kurbel bedienen, um ein Gewicht hochzuhieven, muss gleichsam die Schwerkraft aktivieren, damit die Skulptur ihr eigentliches Wesen zeigt, nämlich die Bewegung. Und erst, wenn er eingegriffen hat, kann er die Skulptur auch als Ganzes begreifen.
Ihre „Eisenwerke“ sind also, zugespitzt formuliert, dem Betrachter auf Gedeih und Verderben ausgeliefert? Dann wären sie abhängig von seinem Goodwill. Ohne ihn können sie sich gar nicht verständlich machen.
Jordi: Stimmt. Doch es ist eine gegenseitige Abhängigkeit, Interpendenz, um es vornehmer auszudrücken. Gib mir deine Energie, damit ich dir meine geben kann. Und schon haben wir eine faire Beziehung. Es ist ein lustvolles Geben und Nehmen. Beide sind vernetzt miteinander, wie eben in einer lebendigen Welt alles mit allem vernetzt ist. Meine Kraft, den belebenden Impuls, bekomme ich in Form von Bewegung und Klang zurück. Und die Schau, die ausgelöst wird, besteht wiederum aus einem Spiel um gegenseitige Abhängigkeit. Indem ich die Skulptur aus ihrer Erstarrung erlöse, verrät sie mir einen Teil ihrer Geheimnisse. So schön kann Zusammenwirken sein.
Ein Effekt ist besonders faszinierend: der stets bedrohlich lauernde Stillstand …
Jordi: … der aber im letzten Moment abgewendet wird! Das soll nicht bloß Spannung erzeugen. Es geht mir auch um fundamentale Erkenntnisse: In der Abhängigkeit ist nichts selbstverständlich. Und der reine Kraftakt ist häufig kontraproduktiv. Das führt etwa die auspendelnde Kugel vor, die erst Energie verlieren muss, bevor sie weiterkommt. Sie muss loslassen können, um eine grandiose weitere Fahrt gewährt zu bekommen.
Die Verblüffung, dass und wie es plötzlich weiter geht, ist beabsichtigt, ähnlich wie beim Film von Fischli/Weiss „The Way Things Go“. Allerdings streben sie nach der Perfektion – es muss gelingen! Ich drücke mit meinen undurchschaubaren „Maschinen“ eher aus: Es könnte gelingen.
Wie stehen Sie zur Interpretation, dass in Ihren Werken nicht nur Eisen geschmiedet wird, sondern gewissermassen auch eine Lebensphilosophie?
Jordi: Bewegung ist halt per se philosophisch, und Bewegung fasziniert mich. Ohne sie gibt es weder Weiterkommen noch Veränderung. Ob sie sich positiv oder negativ auswirken, wissen wir aber erst später. Bewegung ist riskant. Dummerweise ist auch die Stagnation gefährlich. Was also sollen wir tun? Das Neue wagen, auch wenn es vielleicht nicht besser wird? Sicher ist nur, dass wir lebendige Momente nicht konservieren können. Im Grunde sehnen wir uns nach einer Balance zwischen Bewahren und Aufbrechen.
Manchmal zwingen uns plötzliche Ereignisse, etwa ein Notfall, zum Handeln. Oder wir sind gar auf Hilfe angewiesen. Niemand lebt autark. Bei einigen Ihrer Werke kommt die eine Kugel unerwartet der anderen zu Hilfe.
Jordi: Gegenseitige Abhängigkeit ist eben sowohl Gefahr wie Chance. Besonders heikel wird es bei ungleichen Machtverhältnissen – gross gegen klein. Genau davon erzählt das Wechselspiel der grossen und kleinen Kugeln. Und ich zeige, dass beide aufeinander angewiesen sind. So befreit manchmal auch die kleine, schwache Kugel die grosse, starke aus der Blockade. Der Mächtige tut also gut daran, den Schwachen immer ernst zunehmen…
Ihre »Eisenwerke« wirken hochkomplex und undurchschaubar – man fragt sich schon, wie Sie diese zum Funktionieren bringen können.
Jordi: Ich erlebe den Prozess der Entstehung als sehr spannungsvoll. Ich liebe ihn, kann ihn aber auch verfluchen. Zweifel und Hader können überhandnehmen. Ob die Skulptur am Ende kinetisch funktionieren wird, dafür gibt es keine Gewähr. Dann allerdings… Heureka! Gerade weil mich die ungeheure Spannung zwischen Scheitern oder Gelingen so lange begleitet hat, ist die Freude, wenn es denn gelingt, berauschend. Ich hoffe, dass ich diesen Glücksmoment meinen Werken als guten Geist mitgeben kann…
Sie sind Schweizer – aus der Nation der Uhrmacher. Da ist es wohl kein Zufall, dass Sie solche komplizierten Mechanismen austüfteln.
Jordi: Sie meinen, ich sei vom Pass her dazu verdammt … ? Natürlicher erinnern etwa der Aufziehmechanismus und das langsame absinkende Gewicht an Uhrwerke. Doch wirklich schweizerisch ist wohl, dass meine Werke das demokratische Miteinander zelebrieren. Fantastisch, wenn es funktioniert, und falls nicht: Niemals aufgeben. Weiter probieren, schweissen und biegen…
von 11.10.2018 bis 25.01.2019
1969 Geboren in Bern
1985 Abschluss der Sekundarschule
1989 Diplomierter Hochbauzeichner
1990 Praktikum in einer Schlosserei
Seit 1989 tätig als Skulpteur und E-Bassist
Seit 1995 Fährmann in Muri b. Bern
Lebt mit seiner Frau und den zwei Kindern in Bern
Grandiose Ride
Perhaps Bernhard Jordi's art, which tempts matter to play with itself, can only be traced in a mutual exchange - specifically: in conversation with the artist.
Instead of the usual sign "Please do not touch", your objects should actually say: "Absolutely touch" ...
Bernhard Jordi: Yes, my sculptures need not only the passive eye of the viewer, but his active hand, his energy! He must make this available to my work. Without further ado, I appoint him as the motor of my machines. He must, for example, operate a crank to lift a weight, must, as it were, activate gravity so that the sculpture shows its true nature, namely movement. And only when he has intervened can he grasp the sculpture as a whole.
So your "iron works" are, to put it bluntly, at the mercy of the viewer? Then they would be dependent on his goodwill. Without it, they can't make themselves understood at all.
Jordi: That's right. But it is a mutual dependence, interdependence, to put it more delicately. Give me your energy so I can give you mine. And there you go, we have a fair relationship. It is a pleasurable give and take. Both are interconnected with each other, just as everything is interconnected with everything else in a living world. I get my power, the invigorating impulse, back in the form of movement and sound. And the show that is triggered consists in turn of a game of mutual dependence. By releasing the sculpture from its torpor, it reveals part of its secrets to me. This is how beautiful interaction can be.
One effect is particularly fascinating: the always threatening lurking standstill ...
Jordi: ... but which is averted at the last moment! This is not just to create tension. I am also concerned with fundamental insights: In dependency, nothing can be taken for granted. And the sheer act of force is often counterproductive. This is demonstrated, for example, by the pendulum ball, which first has to lose energy before it can move forward. It must be able to let go in order to be granted a grandiose further ride.
The amazement that and how it suddenly continues is intentional, similar to the film by Fischli/Weiss "The Way Things Go". However, they strive for perfection - it must succeed! I rather express with my inscrutable "machines": It could succeed.
What do you think about the interpretation that in your works not only iron is forged, but also, to a certain extent, a philosophy of life?
Jordi: Movement is philosophical per se, and movement fascinates me. Without it, there is neither progress nor change. But we only know later whether they have a positive or negative effect. Movement is risky. Stupidly, stagnation is also dangerous. So what should we do? Dare the new, even though it may not get better? The only thing that is certain is that we cannot conserve living moments. Basically, we long for a balance between preservation and departure.
Sometimes sudden events, such as an emergency, force us to act. Or we are even dependent on help. No one lives self-sufficiently. In some of your works, one bullet unexpectedly comes to the aid of another.
Jordi: Mutual dependence is both a danger and an opportunity. It's particularly tricky when there are unequal power relationships - big versus small. This is precisely what the interplay of the large and small spheres is about. And I show that both are dependent on each other. So sometimes the small, weak ball frees the big, strong one from the blockade. The powerful one is therefore well advised to always take the weak one seriously...
Your "iron works" seem highly complex and inscrutable - one wonders how you can make them work.
Jordi: I experience the process of creation as very tense. I love it, but I can also curse it. Doubt and strife can run rampant. Whether the sculpture will work kinetically in the end, there is no guarantee. But then... Eureka! Precisely because the tremendous tension between failure or success has accompanied me for so long, the joy when it succeeds is exhilarating. I hope that I can pass this moment of happiness on to my works as a good spirit....
You are Swiss - from the nation of watchmakers. So it's probably no coincidence that you work out such complicated mechanisms.
Jordi: You mean I am doomed by my passport to ... ? More naturally, the winding mechanism and the slowly sinking weight are reminiscent of clockworks. But what is really Swiss is that my works celebrate democratic togetherness. Fantastic, if it works, and if not: Never give up. Keep trying, welding and bending....